Im Jura und in den Voralpen gibt es grosse Gebiete mit Kalkuntergrund. Durch Auflösung des Kalks kann
der Untergrund stark verwittern, so dass das Gestein sehr hohe Durchlässigkeit erlangt (Karst). Die
üblicherweise bei Hochwasser sich abspielenden Abflussprozesse werden in solchen Gebieten stark modifiziert,
indem das Niederschlagswasser im Karst gut in die Böden infiltriert und tiefer in den Felsuntergrund
einsickert, ohne dass die Böden gesättigt werden. Dennoch sind solche Gebiete aus Sicht des Hochwasserschutzes
nicht harmlos, wie das folgende Beispiel des Ruz Chasseran (Kt. NE) zeigt.
Der Ruz de Chasseran entwässert ein Einzugsgebiet (EZG) von rund 25 km² im Neuenburger Jura. In der
Nacht des 21. Juni 2019 zog ein starkes Gewitter über das teilweise verkarstete Einzugsgebiet. Dank
vieler Messungen im EZG konnte der Niederschlag rekonstruiert werden. Im Mittel fiel im EZG 73 mm Niederschlag
in 24 h. Im Zentrum der Gewitterzelle wurden sogar innerhalb von nur 2 h 80 mm gemessen. Dies entspricht einer
Wiederkehrperiode von mehr als 300 Jahren (Statistik Station Chasseral).
Bild 1: Die beobachteten Oberflächenabflüsse konzentrierten sich auf die Orte mit den höchsten Niederschlagsintensitäten
vor allem auf landwirtschaftlich genutzten Böden über Moräne und Tonmergel. Die bewaldeten Gebiete, die Gebiete mit
starker Verkarstung und die Gebiete ausserhalb des Starkregens zeigten hingegen kaum Oberflächenabfluss.
Bild 2: Am unteren Rand des EZG im Val de Ruz liegen die beiden Gemeinden Villiers und Dombresson. Der sonst kleine Bach Ruz de Chasseran
führte grosse Wassermengen ab, die in beiden Gemeinden grosse Schäden erzeugten. Die hydraulische Rekonstruktion der
Abflussspitzen an verschiedenen Stellen des EZG und in Villiers waren aufgrund der komplexen Fliessvorgänge anspruchsvoll.
Aufgrund der Abschätzungen an verschiedenen Stellen konnte die Abflussspitze eingegrenzt werden. Die spezifischen Abflüsse
lagen bei 0.5 m³/s/km². Verglichen mit Hochwasserabflüssen in anderen Gebieten in der Schweiz sind sie eher bescheiden.
Bild 3: Die Karte zeigt die Flächen ähnlicher Abflussbereitschaft anhand von 8 Abflusstypen im EZG des Chasseran. Die hellgelben
Flächen (Abflusstyp 5) sind stark verkarstete Flächen, wo der Niederschlag in den Untergrund versickert, ohne dass es im
EZG wieder an die Oberfläche gelangt. Die gelben Flächen (Abflusstyp 4) sind verkarstete Flächen oder Böden mit
gutem Speichervermögen. Die orangen Flächen (Abflusstyp 3) liegen meist auf Tonmergeln des Argovien, eine geologische Schicht
die teilweise stauend ist. Die Flächen des Abflusstyps 2 (rot) reagieren rasch und sind bachnahe Flächen. Abflusstyp 1 (violett)
ist ein Sumpfgebiet. Interessant ist, dass z. T. beitragende Flächen und solche die nicht beitragend sind in direkter Nachbarschaft
liegen.
Nur die Untersuchung der Geologie und der Böden erlaubt eine derart detaillierte Beurteilung eines EZG nach der Abflussbereitschaft.
Diese Flächenverteilung war Grundlage für ein Niederschlag-Abflussmodell, mit dem das Ereignis vom 21.6.2019 nachgerechnet werden
konnte und die Gebietsreaktion auf seltene Niederschläge untersucht werden konnte.